Nach 7 Jahren ständigem Aufenthalt hier in den Philippinen im regen Kontakt mit den Pinoys, aber auch Ausländer, fällt mir immer mehr auf, dass dieses „Utang na loob“ in der philippinischen Gesellschaft ein sehr hohen Stellenwert hat.
Viele Beziehungen von Ausländer mit Pinoys werden dadurch sehr stark belastet.
Auch in vielen Philippinenforen ist es zu einem zentralen Thema geworden.
Dieser Begriff ist bei vielen negativ belegt, führt er doch immer wieder, vor allem in einer Partnerschaft, zu grossen Problemen.
Es geht mir mit diesem Artikel darum einen Beitrag zum Kulturverständnis der Philippinen zuliefern. Er soll auch eine Hilfe für „Westler“ sein wie sie damit am Besten umgehen.
Leider muss Ich das Thema in 3 Teile aufteilen, da die erlaubten Zeichen nur 20'000 umfassen.
1. Teil
"Utang na loob" oder die innerliche Verpflichtung
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Abgrenzung des Themas
3. Versuch einer Definition des Begriffes
4. Welche anderen Schlüsselwörter hängen mit diesem Begriff zusammen oder stehen im direkten Zusammenhang damit
5. Geschichtliche Entwicklung im Laufe der Zeit; respektive Anfänge
6. Gab oder gibt es Ähnliches auch in anderen Länder speziell der westlichen Kultur
7. Ist dieses Utang na loob nur oder vorwiegend in christlichen Gemeinden anzutreffen
8. Ist Utang na loob Heute noch zeitgemäss
9. Die Gefahren von Utang na loob in der heutigen philippinischen Gesellschaft
10. Wie beeinflusst Utang na Loob die Politik in den Philippinen
11. Korruption im Zusammenhang mit Utang na loob
12. Die Auswirkungen von Utang na loob in einer Beziehung Ausländer – Pinoy
13. Schlussbemerkung
14. Literaturverzeichnis
1. Vorwort
Nach 7 Jahren ständigem Aufenthalt hier in den Philippinen im regen Kontakt mit den Pinoys, aber auch Ausländer, fällt mir immer mehr auf, dass dieses „Utang na loob“ in der philippinischen Gesellschaft ein sehr hohen Stellenwert hat.
Viele Beziehungen von Ausländer mit Pinoys werden dadurch sehr stark belastet.
Auch in vielen Philippinenforen ist es zu einem zentralen Thema geworden.
Dieser Begriff ist bei vielen negativ belegt, führt er doch immer wieder, vor allem in einer Partnerschaft, zu grossen Problemen.
Es geht mir mit diesem Artikel darum einen Beitrag zum Kulturverständnis der Philippinen zuliefern. Er soll auch eine Hilfe für „Westler“ sein wie sie damit am Besten umgehen.
2. Abgrenzung des Themas
Durch die starke Vernetzung mit anderen Begriffen aus dem kulturellen Verständnis der Pinoys ist es äusserst schwierig dieses eine Thema „Utang na loob“ losgelöst von den anderen beeinflussenden Faktoren (Werten) in der philippinischen Kultur zu betrachten.
Werde aber trotzdem versuchen dieses Thema soweit möglich auf das Kernthema einzuschränken.
Für das Verständnis,ist es aber unabdingbar, dass wir dieses „Utang na loob“ im Gesamtzusammenhang verstehen.
Es sei mir daher erlaubt diese Querverbindungen aufzuzeigen und wo nötig ein wenig tiefer auf die einzelnen Begriffe respektive Werte der philippinischen Kulturpsychologie einzugehen.
Zitate habe ich nicht übersetzt, damit der ursprüngliche Sinn nicht verfälscht wird.
Die Zitate sind Meinungen von Filipinos wie sie über „Utang na loob“ aus verschiedenen Perspektiven darüber denken.
3. Versuch einer Begriffserklärung
In der philippinischen Kultur nimmt Utang na loob eine der Spitzenpositionen im Wertesystem der Filipinos ein.
„Utang na loob“ ist all gegenwärtig, sowohl in der Familie als auch gegenüber der Gesellschaft.
Mit deiner Geburt hast du eine lebenslange Verpflichtung resp. Schuld gegen über deinen Erzeuger (Erzeuger sind hier nicht nur die Eltern gemeint sondern
die ganze Gesellschaft). Diese Schuld kannst du nie abtragen, auch nicht mit allem „Gold“ in dieser Welt.
„Utang na loob“ ist eine auf Gegenseitigkeit beruhende Verbindung zwischen zwei Gruppen. Mit anderen Worten haben auch die Eltern gegenüber ihren Kindern eine lebenslange Schuld.
Ausserhalb der Familie überlegt sich ein Pinoy im Normalfall zweimal ob er eine solche Beziehung eingehen will.
Aber gerade in der Unterschicht, hat man vielfach keine Wahl und begibt sich in eine Abhängigkeit um Überleben zu können.
Hier zwei Beispiele:
Die Anzahl der "Overseas Filipino Workers" (OFW) in schlecht bezahlten Berufen wie Maid spricht hier eine klare Sprache. Jahrelanger Aufenthalt im Ausland, um seinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Frauen die in Bars arbeiten, haben in der Mehrheit schon Kinder. Die meist gehörte Antwort ist, ich finde mit meiner Ausbildung (etwa die Hälfte haben nur
Elementary School) keine Arbeit und mache es um für mein Kind(er) oder jüngeren Geschwister sorgen zu können. Vielfach hat der Vater der Kinder sich aus dem Staub gemacht oder hat auch keine Arbeit.
Dies geschieht natürlich auch mit dem Hintergedanken, im Sinne von „Utang na loob“, dass sich die Kinder später Mal um dich kümmern werden.
Hier drei unterschiedliche Definitionen wie Utang na loob wahrgenommen wird.
3.1. "Utang na loob" im Kontext der moralischen und sozialen Traditionen in der philippinischen Kultur
Der Begriff "Utang na loob" hat auch mit dem Begriff "Karma" zu tun. Das persönliche Karma würde leiden (lakas ng loob), wenn man eine erwiesene Gunst nicht zurückgeben würde.
Es gibt auch Sprichwörter in Tagalog:
"Ang 'di marunong tumingin sa pinanggalingan ay di makakarating sa paroroonan."
„Wenn du nie auf deinen Weg zurückgeschaut hast, wirst du nie dein Ziel erreichen."
Oder:
„Kung ikaw planta ng bigas, ikaw ay umani ng bigas.“
"Wenn Du Reis pflanzt, wirst du auch Reis ernten."
Diese Sprichwörter dienen als eine Art Erinnerung, dass man dankbar sein muss. Wir kennen unsere Zukunft nicht. Somit muss man dankbar sein gegenüber den
Leuten die geholfen haben, Ziele in deinem Leben zu erreichen und auch noch weiterhin helfen deine Ziele zu erreichen.
Dies ist das ursprüngliche Ziel von "Utang na loob", wo man sich aus einer Haltung der Dankbarkeit und der moralischen Verpflichtung gegenüber der Familie, Verwandten und Gemeinschaft. Als Empfänger der „guten“ Taten und den Unterstützungen müssen diese zurückgeben werden.
Sonst kommt der Vorwurf von: „walang hiya“ und „walang pakikisama“.
3.2."Utang na loob" im Rahmen der blinden Loyalität
Im Zusammenhang mit der blinden Loyalität hat "Utang na loob" meistens negative Auswirkungen.
Beispiele:
- Familie: "Blut ist dicker als Wasser"; "Innerhalb meiner Familie wird Recht oder Unrecht nicht hinterfragt",
- Politiker: "Er hat soviel getan für meine Familie " er gab uns Geld, wenn wir es brauchten ".
- Kirchen: Sie setzen dass „Utang na loob“ für ihre Machterhaltung „zynisch“ ein.
Diejenigen, welche die Macht und die materiellen Ressourcen besitzen nutzen die blinde Loyalität jener brutal aus, welche auf Unterstützung angewiesen sind.
Diese wiederum, die sich auf einen solchen Deal einlassen haben, werden in der Regel daran zerbrechen.
So findet man viele Arme und ungebildete Menschen auf den Philippinen in dieser Art von Beziehung respektive Abhängigkeiten, "Utang na loob" ist ein
Band, das sie für eine lange Zeit bindet.
3.3."Utang na loob" im Kontext der aufgeklärten Loyalität
Es gibt Filipinos, die in der Lage sind, "Utang na loob" als soziales Konzept, zu verstehen ohne blind zu sein. Sie erkennen die Grenzen der Loyalität.
Sie schätzen die Bedeutung von "Utang na loob" als ein moralisches Konzept, aber dies bedeutet nicht, dass sie ihre höher bewertenden moralische
Grundsätze aufgeben im Interesse der Familie, Freundschaften oder Gemeinde.
Zum Beispiel gab es eine Reihe von politischen und militärischen Führer, die trotz ihrer Nähe zu ehemaligen Präsidentin Gloria Arroyo, ihre angebliche
korrupte Führung nicht ignorieren konnten und ihre Unterstützung im Interesse der Nation gegenüber der damals amtierenden Regierung zurückgezogen haben.
Allerdings gibt es auch solche Führer, die trotz ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit und überdurchschnittliche Intelligenz, blind sind und die Übergriffe und Ausschreitungen der damaligen Regierung nicht sehen wollten.
Sie fühlen sich im Sinne von „Utang na loob“ gegenüber der Verwaltung blind verpflichtet.
4. Welche anderen Schlüsselwörter hängen mit diesem Begriff zusammen oder stehen im direkten Zusammenhang damit
4.1. Hiya
Der Wert Hiya kommt aus der vorkolonialen Zeit. Dieser Wert gehört zur Schamkultur und ist auch Heute noch in Asien all gegenwärtig.
Vielfach wird der Wert Hiya von westlichen Psychologen mit Scham übersetzt, in der philippinischen Kultur wird dies meiner Ansicht nach anders verstanden.
Hiya ist für sie das Anstandsgefühl.
Diese beiden Ausdrücke sagen zwar ähnliches aus, in der Bewertung sind sie aber grundverschieden. Scham ist nach innen gerichtet, dass Anstandsgefühl aber nach aussen. Hier kommt dann auch das Problem her, wenn man einer Person sagt: „Walang Hiya“
Keine Scham kann man akzeptieren; die Gründe hierzu können vielfältig sein. Aber kein Anstandsgefühl?
Nach T. P. Schirrmacher herrscht folgendes Grundprinzip:
- In der Schamkultur gilt die öffentliche Wertschätzung als höchstes Gut
- In der Schuldkultur gilt die Sorge des Menschen der Sühnung seiner Schuld
4.2. Pagkawala ng mukha (loss of face)
Den Gesichtsverlust nennt man das plötzliche objektive oder subjektive Sinken des eigenen Ansehens, der Ehre oder des Respekts bei Freunden oder Anhängern, das tatsächlich oder vermeintlich durch einen konkreten Zwischenfall, wie eine Niederlage in einem Streit oder die Aufdeckung eines unangenehmen Geheimnisses, verursacht wird.
Die psychologische Folge von Gesichtsverlust für den Betroffenen ist vorrangig Scham. Daher spielt die Furcht vor Gesichtsverlust in den asiatischen, so genannten „Schamkulturen“ eine viel größere Rolle als in den westlichen „ Schuldkulturen“.
In der chinesischen Kultur ist der Gesichtsverlust ein Kernwert (score value).
4.3. Karma
Bezeichnet ein spirituelles Konzept, nach dem jede Handlung – physisch wie geistig – unweigerlich eine Folge hat. Diese muss nicht unbedingt im aktuellen Leben
wirksam werden, sondern kann sich möglicherweise erst in einem der nächsten Leben manifestieren.
4.4. Pakikisama
(Zusammenhalt in der Gruppe) ist ein Unterbegriff von Kapwa.
4.5. Kapwa
Die (Zusammengehörigkeit) nimmt in der Philippinischen Psychologie (Kultur) eine Spitzenposition ein.
Viele Begriffe resp. Verhaltensweisen lassen sich direkt daraus ableiten.
Kapwa unterteilt sich in zwei Kategorien:
Ibang Tao (Gesellschaftsbeziehungen) und Hindi Ibang Tao (Familienbeziehungen)
Ibang Tao (Aussenstehender)
Hier finden wir fünf Ausdrücke in diesem Zusammenhang:
- Pakikitungo: Anstand
- Pakikisalamuha: gegenseitige Beinflussung
- Pakikilahok: Mitmachen
- Pakikibagay: Zugehörigkeit; Uebereinstimmung
- Pakikisama: Zusammenhalt in der Gruppe
Hindi Ibang Tao("Einer von uns")
Hier finden wir drei Ausdrücke in diesem Zusammenhang:
- Pakikipagpalagayang-loob: Vertrauensverhältnis; Sich Wohlfühlen in derGruppe
- Pakikisangkot mit Anderen verbunden sein
- Pakikipagkaisa: dazu zugehören
Hier entsteht ein unglaublicher Gruppendruck auf den Einzelnen. Dieser Gruppendruck überträgt sich dann auch auf Ausländer
die in einer Partnerschaft mit Pinoys liiert sind.
Viele geben diesem Gruppendruck nach und weitere immer grössere Forderungen werden kommen.
Der Andere der dies nicht akzeptiert wir vielfach Schiffbruch in seiner Beziehung erleiden. Wobei der Erstere auch ähnliche Probleme bekommen wird, wenn er nicht Grenzen setzt.
Auch der philippinische Partner/in steht oft in einem Loyalitätskonflikt zwischen seinem Partner/in und der Familie.
4.6. Padrino System
Das Padrino System ist eine der Hauptursachen für Bestechung und Korruption. In jeder neuen Regierung ist es die gängige Praxis, daß der neu gewählte Präsident, der Gouverneur oder der Mayor, die neuen Mitglieder der Regierung bestimmt.
Die neu ernannten Leiter gehören zu seinen eigenen Vertrauten und dem Berater-Team.
Die berücksichtigten Personen haben wiederum das Recht Verwandten, Freunde, Klassenkameraden oder assoziierten Unternehmen einzusetzen.
Die Auserwählten sind natürlich dankbar im Sinne von „Utang na loob“ und sehen über all die Bestechung und Korruption im Vorfeld gerne hinweg.
Das "Padrino System" gehört in vielen offiziellen Büros zum täglichen leben. Stellenangebote und Jobs sind nur für die Schützlinge bestimmt. Das Dienstalter oder die Leistung ist nicht wichtig, nur die richtigen Verbindungen zählen.
4.7. Ninong-ninang System
Ist ein anderes Wort für das "compadre system" (die Vetternwirtschaft).
Jeder wird versuchen möglichst viel Taufpaten in der übergeordneten Schicht für seine Kinder zu bekommen.Bei einer Heirat gelten ähnliche Regeln.
Der Taufpate oder der Trauzeuge wird in der Bürokratie sorgen, dass sein Patenkind befördert wird, oder eine Gehaltserhöhung bekommt.
Diese korrupten Praktiken führen dann auch zu einer Aufblähung der Bürokratie.
Ein Departement-Sekretär hat dann vier Untersekretäre, die wiederum eine unzählige Anzahl von Assistenten haben.
Unter dem Deckmantel der Reorganisation die Bürokratie zu straffen, kann eine neue Regierung jemand entlassen oder Frühverrentung verfügen. Nach den Wahlen werden immer wieder Zehntausende Beamte ersetzt, und durch eigene Leute ersetzt.
Eine Straffung findet aber nicht statt.
4.8. “Bahala na“ Mentalität
Auf Deutsch: "Überlass es Gott".
Dies ist die typisch philippinische Reaktion angesichts unlösbarer Probleme für den Einzelnen.
Man kann das Ganze auch als Passivität und Fatalismus bezeichnen.
Aber mal ehrlich, wie hätten sie ihr Los ihrer wechselhaften Geschichte ertragen können ohne Hilfe der philosophischer Weisheit “bahala na“.
4.9. Amor-propio
Amor propio" kommt aus dem Spanischen, es kann wortwörtlich mit Selbst-Liebe übersetzt werden ein Gefühl der Selbstachtung, das eine Person
daran hindert, seinen Stolz wegzustecken.
Schon eine leichte Bemerkung oder beleidigende Geste, obwohl nicht beleidigend, kann ein Gefühl auslösen das, das "amor propio" der betreffenden
Person in Frage stellt.
Zum Beispiel wird eine verlassene Frau sich weigern, finanzielle Unterstützung von einem Mann, der sie aufgegeben hat, egal wie sie finanziell
dasteht zu verlangen.
Ihre Würde oder ihren Stolz verbietet es ihr (hier kommt dann der Gesichtsverlust zum tragen) Forderungen zu stellen. Hier spielt dann wieder Hiya
im ganzen Komplex eine grosse Rolle.
Was sicher ist, dass in der philippinischen Kulturpsychologie das „Utang na loob“ einen sehr wichtigen Stellenwert einnimmt.
Den 2. Teil werde ich morgen reinstellen.