Warum sind viele Pinoys im Alltag so rücksichtslos?
In letzter Zeit wurden hier immer wieder kulturelle Aspekte, insbesondere im Hinblick auf Verhaltensweisen unserer philippinischen Freunde und Gastgeber, diskutiert. Die Antworten unserer Mitglieder hierzu waren meist sehr interessant, beleuchteten sie doch des öfteren auch Aspekte, die "selbst mir" (hahaha) neu waren.
Ein Thema über das wir m. E. noch nicht gesprochen haben, treibt mich dabei in letzter Zeit vermehrt um. Mancher wird sicherlich beim Lesen über Land und Leute schon einmal auf Aussagen bezüglich der Sozialisierung von Kindern und Heranwachsenden auf den Philippinen gestoßen sein. Hier heißt es dann oftmals, daß der Filipino von frühester Kindheit lerne bzw. dazu erzogen würde, sich in die jeweilige Gruppe, in der er sich gerade bewegt, einzufügen. Es stehe demnach nicht so sehr die individuelle Selbstverwirklichung im Vordergrund, wie das in westlichen Gesellschaften der Fall ist. Als wichtiger wird in diesbezüglichen Abhandlungen das "Miteinander" betrachtet und das "Spielen einer positiven Rolle", das insbesondere der Familie des einzelnen keine Schande macht. Hier wird dann auch die Verbindung zu der oftmals über allem stehenden Thematik des Gesichtsverlustes deutlich.
Nun, soweit kann ich das alles einigermaßen nachvollziehen. Wie kommt es dann aber, daß viele Filipinos "im Alter", gemeint ist die Gruppe der Erwachsenen, denen wir so tagtäglich begegnen, in vielen Bereichen des Alltags so gut wie keine Rücksichtnahme kennen? Erwähnt seien in diesem Zusammenhang z. B. das Gebaren im Straßenverkehr, wo sich jeder selbst der Nächste zu sein scheint, oder aber "Aktivitäten im nachbarschaftlichen Zusammenleben", die da heißen täglicher Karaokegesang in möglichst dreistelligem Dezibelbereich, Müllverbrennung (auch von "Gefahrgut") vor der Haustür, Abfallentsorgung auf fremdem Boden oder gerade jetzt z. B. die ganzen an der Schweinepest verendeten Tiere, die einfach in Flüssen bzw. in der Landschaft entsorgt werden etc., etc. Weitere Beispiele ließen sich sicher noch viele finden.
Liest man sich etwas tiefer in die diesbezügliche Materie ein, könnte man dieses Verhalten u. U. damit erklären (so wird zumindest von manchen Anthropologen behauptet), daß sich der Filipino immer nur "seiner eigenen Gruppe" gegenüber verpflichtet fühle, die da in erster Linie wären Familie oder aber der engste Kollegen und Freundeskreis (Barcada). Aber ist das wirklich so? Wie sieht es mit der Nachbarschaft oder dem Zusammenleben im Barrio aus? Auch hier ist der einzelne in der Regel in die Gemeinschaft integriert und folglich wäre ihm eine entsprechende Rolle zugedacht. Und trotzdem verhalten sich viele Filipinos als wären sie niemandem in irgendeiner Form zur Rücksichtnahme gegenüber verpflichtet. Noch viel übler sieht es, wie wir alle wissen, in der anonymen Gruppe der Verkehrsteilnehmer aus. Von philippinischer Seite wird dieses meist verbotswidrige Verhalten (ja, auch auf den Philippinen gibt es Gesetze und entsprechende Verkehrsregeln) übrigens oftmals als besonders "clever" bezeichnet.
Sind also die Gruppenzugehörigkeit auf der einen und die Anonymität in bestimmten Bereichen auf der anderen Seite wirklich die Erklärung für das oben beschriebene Verhalten? In westlichen Gesellschaften sozialisierte Individuen werden eher darauf geprägt, eigene Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen. Erwähnt seien in diesem Zusammenhang Begriffe und Verhaltensmuster wie "Selbstverwirklichung", das "Entfalten der Persönlichkeit" oder aber das "Realisieren der eigenen Wünsche und Ziele". Mit allen diesen Begriffen assoziiert man normalerweise eine eher weniger stark ausgeprägte Empathie und eine gewisse Ellbogen-Mentalität. Aber warum beschleicht einem bei derartigen Aussagen dann ein eher merkwürdiges Gefühl, wenn man die mit der philippinischen Erziehung assoziierten Verhaltensmuster mit dem tatsächlichen Gebaren der Filipinos vergleicht?
Sicher sind die Ellbogen-Mentalität und ein Vorgehen unter dem Motto, "jeder ist sich selbst der Nächste" in westlichen Gesellschaften weit verbreitete Verhaltensweisen. Andererseits verwundert manchmal doch der Eindruck einer ausgeprägteren "Kultur der Rücksichtnahme" in Europa und anderen westlichen Staaten im Vergleich zu dem Verhalten unserer Gastgeber von den Philippinen.
Woran kann das liegen? Sollte die entsprechende Sozialisierung bzw. Erziehung nur oberflächlicher Natur sein und niemals wirklich verinnerlicht werden? Ohne jetzt rassistischen Ideologien folgen zu wollen, aber geht das Leben in wärmeren Gefilden nicht oftmals einher mit einer gewissen Sorglosigkeit und einem "laissez faire" gegenüber Alltagsdingen? Einen entsprechenden Eindruck gewinnt man nicht nur im Süden Europas. Wir alle, die wir vor Ort leben, "dürfen" diese Erfahrung hier tagtäglich machen. Und hatte nicht bereits Paul Gauguin Ende des vorletzten Jahrhunderts bei seinen Aufenthalten auf Tahiti und den Marquezas-Inseln über die fehlende Gemütstiefe der Eingeborenen geklagt, je weiter östlich er sich zu integrieren versuchte? Diese lebten offensichtlich ebenfalls sorglos in den Tag hinein und machten sich keine tieferen Gedanken über die Befriedigung ihrer elementaren Bedürfnisse hinaus. Dies war allerdings nur solange der Fall, bis sich eine Möglichkeit auftat, einen persönlichen Vorteil zu erlangen, sei es auch auf Kosten anderer. Vielleicht hat man damals dann unter den Südsee-Bewohnern auch von einer gewissen Cleverness gesprochen. In DACH waere vielleicht der Begriff "Bauernschläue" passender. Eine entsprechende Konditionierung der Filipinos vorausgesetzt, würden sich u. U. viele Verhaltensweisen der Menschen hier vor Ort erklären lassen.
Kann das sein? Wie hängt das zusammen? Was sind Eure Erklärungen für dieses "Phänomen gelebter Rücksichtslosigkeit"? Oder sehe ich hier Gespenster, wo gar keine sind?
The man